Errichtung eines Mahnmals

als Erinnerung an die Hexenverfolgung 1662/63

 

Am 20. März 1662 begann in der Stadt Gudensberg ein Hexenprozess, der bis zum 07.04.1663 dauerte und bei dem nach den gefällten Urteilen 4 Frauen aus Besse hingerichtet wurden. Eine Frau kam am Tag vor ihrer Hinrichtung im Gefängnis zu Tode.

 

Gudensberg hatte zu der Zeit die hohe Auszeichnung eines eigenen Gerichtsstandes, in dem nach der Halsgerichtsordnung  Karl V., der Constitio Cautio Criminalis (oder Carolina genannt - CCC), abgeurteilt wurde. Es war ein so genanntes Blutgericht, in dem Mord, Totschlag, Räuberei, Brandstiftung und Zauberei verhandelt wurden und dieses Gericht hatte die Legitimation, Todesurteile zu fällen. Die Hexenprozesse gehören zu den Sonderverbrechen, deren letzter Akt immer auf die Todesstrafe hinauslief.

 

Der Amtsschultheis war auch gleichzeitig als Richter eingesetzt - in unserem Falle war es Johannes Briede.

 

Hier liegt ein Prozess aus dem Staatsarchiv Marburg von 1662/63 gegen die Hirtenbarbara aus Besse vor. Er wurde von Wilfried Dippel übertragen und von Ingrid Pee ausgewertet und interpretiert.

 

Der Grebe (Bürgermeister Schminke) verlangt gegen die „notorische Zucht“ (Hexerei) im Dorfe vorzugehen und einen Prozess zu beginnen.

 

Kirchenbucheintragung

 

„Nach Pfingsten 1662, also etwa im Juni 1662 ist die „Göddeling“, Johann Weitzels Frau und Gertrud, Johann Bangen seiner Frau, beyde beinahe 60 Jahre, sind nach Pfingsten stranguliert ufm Scheiderhaufen und verbrand beym Odenberg wegen bekannter Zauberey und Benefico, der Schmidten Goddel Anna aect. 76 Jahr, Johann Schmidts Frau ist decolliert und der wegen mit verbrand worden. (Im November hernach ist Anna Wiegands Dochter so uf die hand zu erst bekannt aect. 19 Jahr daselbst gestorben und begraben worden.“

Alle Frauen sind gefoltert worden. So steht es in dem Kirchenbuch, übertragen und zusammengestellt von Wilfried Dippel.

 

Bei diesen Eintragungen fehlt die Hirten-Barbara, deren Prozess fortgesetzt wird bis zum 07.04.1663.

 

Die bereits am 20. März mit verhörte Hirten-Barbara, deren Anklage wir uns näher zuwenden werden, wird am 28.05.1662 im Alter von 73 Jahren inhaftiert.

Sie wurde als Barbara Berthold, geb. Otto am 12.05.1589 geboren und heiratete zu Ausbruch des Krieges 1618. Diese alte Frau hatte die Wirren des 30jährigen Krieges mit seinen Entbehrungen (Kälte, Hunger, Elend, Überfälle, Feuersbrünste usw.) überlebt und muss nun ihre letzten Monate unter unbeschreiblichen Qualen mit dauernden Verhören und Folterungen im Gefängnis unter unmenschlichen Bedingungen zubringen.

Prozess von 20.03.1662 – 07.04.1663. Ca. 30 Termine gibt es während des Prozesses

 

Ihre Anklageschrift und das am 23. Juni gemachte Verhör umfasst 107 Fragen.

Der Verteidiger Henrich Mögloff machte seine 24 Eingaben (Petitionen) bei dem Fiscal.

 

Sowohl die juristische Fakultät in Marburg als auch die landgräfliche Regierung in Kassel

bleiben hart gegenüber den Eingaben des Defensors (Verteidiger) im Falle der

Hirtenbarbara“.

 

 

07.04.63                      Akte von Reg. In Kassel zurück mit Anweisung, Todesurteil zu vollstrecken.

09.04.63                      wird vom Gerichtsdiener tot aufgefunden (74 Jahre alt)

10.04.63                     Anordnung von der fürstlichen Kanzlei in Kassel

Drinnerschleife“ – Odenberg beim Galgen vergraben, vorher verbrannt?

 

1663 ist im Kirchenbuch von Besse vermerkt:

 

Reinhard Bertholds Frau gnt. Hirten Barbara hat wegen bekannter Zauberey sollen Decolliert werden ein frey dag ist aber der Tag zuvor im Gefängnis muß ohn einiges merklich Zeichen Tod gefunden und hirauf unter das Gericht begraben worden.

act. 77 (Übertragung Wilfried Dippel, Besse)

 

 

 


 

Idee zu einem Mahnmal

Ich habe mich der Aufarbeitung dieses schweren Erbes angenommen, weil ich glaube, wie Walter Benjamin sagt: „Geschichte ist veränderbar“ (dies klingt zunächst erst einmal befremdlich, weil man gewöhnlicher Weise glaubt, dass man nur in die Gegenwart eingreifen könnte, um die Zukunft zu verändern. Aber ist es nicht so, dass das, was wir heute tun, auch die Bedeutung der Vergangenheit ändert? Und trifft Letzteres nicht genau dann zu, wenn wir die Geschichte der Vergesslichkeit entreißen und Andenken schaffen? Umgestalten gewiss nicht im wörtlichen Sinne, denn wenn an der Vergangenheit etwas gewiss ist, dann dass sie nicht mehr da ist. Benjamin hatte etwas anderes im Sinn. Was wir heute tun, meint er, kann die Bedeutung der Vergangenheit verändern. Ist es dann nicht vielleicht so, dass wir auf diese Weise eine Wiederholung verhindern könnten? Den – wie es scheint – ewigen Kreislauf als Konzept des Unrechts und der Inhumanität zu durchbrechen.

Ich glaube das!

Eigentlich könnte man glauben, dass sich das Thema Hexe/Teufel in unserer Zeit erübrigt hat, aber leider ist dem nicht so.

 

In allen Religionen, auch in Deutschland, finden noch Teufelsaustreibungen statt (Marcus Wegner: „Exorzismus heute – Der Teufel spricht deutsch“)

 

Auch hat die Sündenbocksuche in unserer Gesellschaft noch immer Tradition. Unsere Bevölkerung meint noch immer, anders denkend und –lebende Menschen für eigene Probleme verantwortlich zu machen, indem man sie sanktioniert und ausschließt.

 

Somit hat das Mahnmal auch die Funktion uns anzuregen, über unsere Verhältnisse nachzudenken.

 

Ich würde mir wünschen, wenn sich dieses Geschehen, das sich in 2012 zum 350. Mal gejährt hat, in einem gegenständlichen Erinnerungs-Mal als bleibende Hinterlassenschaft unseres Gedenkens an dieses furchtbare Leid niederschlagen würde und Ausgestoßene und Ausgegrenzte wieder in unsere Gesellschaft aufnehmen würde. Aber auch heute

 

Es gibt inzwischen mehr als ein Dutzend Erinnerungs-Male in Hessen, wovon die meisten in Südhessen liegen. In Nordhessen erinnern folgende Städte an die Zeit der Hexenverfolgung: Bad Wildungen, Eschwege, Fulda und Fritzlar.

 

 

 


 

Wahl des Ortes:

 

Der Ort zur Aufstellung des Mahnmals sollte ein Öffentlicher sein, an dem sich ein Bezug befindet, der weitgehend an das Geschehen erinnert.

 

Von der Stadt Gudensberg aus blickt man in nördlicher Richtung, so erscheint unterhalb der Bergwölbung des Odenbergs ein ebener Platz, der das „Galgenstück“ genannt wird und in der Schleensteinsche Karte der Landgrafschaft Kassel von 1705 mit einem Galgen markiert ist. Wenn man sich den Richtplatz anschaut und weiß, dass Richtplätze immer von öffentlichen Straßen einsehbar waren, muss eine Straße vorbeigegangen sein. Es könnte sich um die alte Straße zwischen dem Odenberg und dem Kammerberg handeln, aber auch die jetzige Straße nach Besse. Diese Stelle scheint für einen Gerichtsplatz, Galgen- und Hinrichtungsstätte gut geeignet, weil dort die einzige geebnete Fläche in dem Hang ist, der sich um den Odenberg zieht. Von da hat man auch einen Blick nach Gudensberg, vorbeifahrende und –gehende Menschen konnten das Geschehen, welches ein großes gesellschaftliches Ereignis war, gut beobachten. Die Lage dieses Richtplatzes ist erst seit kurzer Zeit durch ein Dokument bewiesen. Herr Schmeißing vom Geschichtsverein hat in seiner Forschung nachgewiesen, dass das alte Gericht sich oberhalb des Hopfenteiches befindet und damit genau diesen Platz bezeichnet.

 

Der Richtplatz liegt an dem Wanderweg rund um den geschichtsträchtigen Odenberg.

Geplant ist eine  touristische Erschließung mit Schwerpunkt auf Geschichte. Das hier beschriebene Mahnmal wird dann an ein von historischen Quellen fundiertes Ereignis erinnern.

 

Es gibt inzwischen mehr als ein Dutzend Erinnerungs-Male in Hessen, wovon die meisten in Südhessen liegen. In Nordhessen erinnern folgende Städte an die Zeit der Hexenverfolgung: Bad Wildungen, Eschwege und Fulda. (nachzulesen unter: http://www.anton-praetorius.de/downloads/hexendenkmaeler_brandenburg.pdf)

 


 

Ausschnitt aus „Schleensteinsche Karte“ Amt Gudensberg, 1711-1715

 

 

Blick auf den Richtplatz im Norden von Gudensberg

 


 

Entwurf des Denkmals

Joachim Wimmel und Werkstatt Damm-Steingestaltung (Besse)

“Am Anfang das Gerücht, feine Fäden aus dunklem Grund finden zusammen, werden zur Kraft im Gefüge der Macht und so zum furchtbaren Strudel. Den Opfern ein Grab in den Lüften. Es bleiben Namen.”

Alles beginnt mit Fragen, auch wenn es um ein Mahnmal geht: Wessen soll gedacht werden? Warum soll jemand oder etwas vor dem Vergessen bewahrt werden? An wen wendet sich diese Botschaft der Erinnerung? Schließlich, wie soll das Denkmal beschaffen sein?

Fünf Frauen sind es, die aus dem Dunkel obskurer Beschuldigungen angeklagt, einem bürokratisch/ forensischen Prozess unterworfen wurden, der ihre Vernichtung intendierte. Obskurantismus, hier: Hexenwahn, mischte sich mit handfestem Raub.

Die Macht verhält sich gewissermaßen dialektisch: Sie lässt Untertanen teilhaben an der Suche nach Schuldigen für ihre vagen - und auch konkreten - Ängste, lenkt so von den eigentlichen Machtverhältnissen ab. Indem sie das Leben der Opfer nimmt- scheinbar nehmen lässt- schafft sie gleichzeitig eine Sphäre der Einschüchterung. Das alles kennen wir als schaurigen Höhepunkt im vorigen Jahrhundert.

Wir brauchen die Vorstellung von Einzelschicksalen, um verhängnisvolle gesellschaftliche Vorgänge  in ihrer Aktualität zu erkennen. “Hexen” sind sicherlich für viele im dunklen Mittelalter verortet, ihre Scheiterhaufen ferne Vergangenheit, gut für ein wohliges Gruseln.

Ein Mahnmalkonzept, das naturalistisch/ gegenständlich dieses Gefühl bedient, sollte nicht zur Diskussion stehen, wir haben uns dagegen für eine inhaltlich Verdichtung in der Abstraktion entschieden, die im Folgenden erläutert werden soll:

Die annähernd 2 m  hohe Doppelstele aus Diabas, einem Hartgestein ähnlich dem Basalt der Region ( der jedoch hier nicht geeignet ist ) befindet sich auf einer kreisrunden, leicht kegelförmigen Betonplatte. In Augenhöhe der Stele öffnet sich eine elliptische Mulde, die sich nach innen kreisrund verengt. Wenn der Besucher des Orts dem entstehenden Wunsch, hindurch blicken zu wollen, folgen will, wird er genötigt, sein Gesicht der Mulde anzunähern. Zu seinen Füßen läuft ein Fächer von Edelstahlsträngen zusammen, die aus dem Grund der Platte kommend, in der Mittelfuge der Stele verschwinden.

Grundsätzlich ist es ein Merkmal zeitgenössischer Kunst- gerade, was Skulpturen/ Installationen betrifft- durch körperliche Erfahrungen des Betrachters die Distanz zwischen ihm und dem Objekt zu beeinflussen. Hier ist das aufkommende Unbehagen, das Gesicht in den Stein legen zu müssen und dabei auf unebenen Grund zu stehen, durchaus beabsichtigt. Die Anmutung von Schraub- bzw. Halsstock liegt nahe.

Der Durchblick, der jetzt möglich ist, erfolgt durch eine Metallscheibe, vor der sich ein Wirbel von Drähten erhebt. Die Scheibe trägt die Namen der Frauen, der Strudel spült sie hoch in unser Bewusstsein. Die Buchstaben sind hell im Gegenlicht, weil ausgeschnitten aus der dunkel wirkenden Scheibe. Der Blick des Betrachters trifft am Ende auf dem historischen Richtplatz.

 

Die Vermittlung des komplexen historischen Hintergrundes sollte ergänzend durch einen Informationsträger geschehen, ob als Texttafel in der Nähe der Stele oder auditiv an anderer Stelle.

 

Gesamtansicht mit Richtplatz im Hintergrund mit Mahnmalsmodell  (Fotomontage)

 

 

 

 

Modell Komplettansicht: , Diabasstein mit Loch für Auflage des Kopfes, Edelstahlgestänge auf Bodenplatte

 

 

Modell

Mulde zum Auflegen des Kopfes, sowohl für die Durchsicht zum Richtplatz als auch zum Lesen der Namen der Hingerichteten.

 

 

 

Modell

Laserschrift (durchscheinendes Licht der Buchstaben) im Inneren der Mulde, Spirale des ankommenden Edelstahlgestänges der Bodenplatte

 

Finale 2020

 

Leider habe ich unsere Arbeit nach 5jähriger Tätigkeit an der Realisierung des Mahnmals für fünf zu Unrecht 1662/63 hingerichtete Frauen einstellen müssen.

Das Projekt stand kurz vor der Realisierung: Die Hessische Kulturstiftung hatte uns 10.000 € in Aussicht gestellt. Der Magistrat der Stadt Gudensberg hatte sich einstimmig für das Projekt ausgesprochen und die Fundierung übernehmen wollen, der Rest sollte vom Verein KAFKA e.V. (Kasseler Förderverein für Kulturarbeit e.V.) übernommen werden. Das Projekt scheiterte 2019 an fehlender Unterstützung seitens der Stiftung und der Stadt Gudensberg.

Die Sündenbocksuche, die sich heute wieder gegen Ausgegrenzte und anders lebend- und -denkende Menschen richtet, war für mich Antrieb meiner Arbeit. Die von Seiten der Kulturstiftung geäußerten Ängste: „ (…) Vorbeugung vor politischen Nischenbildung und destruktiven Kräften.“ sowie auch die Ängste von Bürgermeister Börner haben das Projekt zum Scheitern gebracht. Dies konterkariert geradezu das Verständnis dafür, die Vorkommnisse von 1662/63 in die Gegenwart zu übertragen. Diese Konfliktscheu seitens der Entscheidungsträger erscheint vor dem Hintergrund der allgemeinen politischen Situation beunruhigend. Das Projekt war eine große, finanzielle, mentale und arbeitsreiche Herausforderung für mich und den Künstler, es kann bei mangelnder Unterstützung nicht fortgesetzt werden.

 

 

 

Initiatorin: Ingrid Pee - ingrid-kafka@gmx.de